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Psychische Erkrankungen haben komplexe Ursachen

Psychische Krankheiten sind nicht mit einfachen Modellen zu erklären. Viele Faktoren spielen mit, wenn die Psyche aus dem Gleichgewicht gerät: biologische (z.B. Hormonhaushalt, Veranlagung), psychologische (z.B. Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz), soziale (z.B. Arbeitssituation, Partnerschaft) und spirituelle (z.B. Lebenssinn, Religion). Vieles wird auch heute noch nicht vollständig verstanden. Auslöser für eine psychische Krise oder Erkrankung ist meist eine Belastungssituation, etwa am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft oder in der Familie. Aber auch biologische Veränderungen im Körper, beispielsweise nach einer Geburt, können psychische Erkrankungen auslösen. Wie gross der Einfluss genetischer Faktoren ist, wird von verschiedenen Fachleuten unterschiedlich beurteilt.

Betroffene denken manchmal, sie seien selbst schuld an ihrer Erkrankung. Auch nahe Angehörige wie Eltern oder Partnerinnen/Partner quälen sich mit Schuldgefühlen. Das ist verständlich aber fachlich nicht begründet. Psychische Erkrankungen sind nicht selbstverschuldet und nie sind nur einzelne Personen dafür verantwortlich.

Ab wann spricht man von Krankheit?

 

Die Grenze zwischen gesund und krank ist für Laien nicht leicht zu ziehen, denn wir alle fühlen uns ab und zu traurig, ängstlich oder unkonzentriert. Negative Gefühle allein sind noch kein Zeichen für eine Erkrankung. In der Regel verfügen wir über genügend psychische Widerstandskraft, um Stress und Krisen zu bewältigen ohne krank zu werden. Erst wenn diese Kraft fehlt und die Bewältigung über längere Zeit nicht gelingt, kann es zu einer Erkrankung kommen. Ob eine Erkrankung vorliegt, die behandelt werden muss können psychotherapeutische Fachpersonen und Fachärztinnen/-ärzte beurteilen.

 

Psychische Erkrankungen sind vielfältig

 

Wie bei den körperlichen gibt es auch bei den psychischen Krankheiten eine grosse Anzahl unterschiedlicher Krankheitsbilder. Die verschiedenen Erkrankungen sind zudem bei jedem einzelnen Menschen jeweils individuell ausgeprägt.

 

Psychische Erkrankungen sind häufig

Genau wie körperliche Krankheiten, gehören psychische Krankheiten zum Leben und können alle treffen. Jeder zweite Mensch in der Schweiz leidet im Laufe seines Lebens einmal an einer psychischen Erkrankung. Nahezu jede Person kommt daher in der Familie, im Arbeits- oder Freizeitumfeld in Kontakt mit psychischen Erkrankungen. Diese sind aber zum Glück meist recht gut heilbar, besonders wenn die Behandlung frühzeitig begonnen wird.

Haben psychische Erkrankungen zugenommen?

 

Auch wenn die Medien teilweise den Eindruck erwecken, dass sich psychische Erkrankungen stark häufen oder ein neues Phänomen sind: Psychische Erkrankungen hat es schon immer gegeben. Die Zahl an Behandlungen von Stress- und Angsterkrankungen sowie leichten bis mittelgradigen Depressionen hat in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen. Dabei ist unklar, inwieweit es sich tatsächlich um eine Zunahme der Erkrankungen handelt, da früher die Krankheiten häufig nicht erkannt und deshalb nicht behandelt wurden.

Schwere psychische Krankheiten sind nach wie vor relativ selten. Als schwere psychische Erkrankungen gelten Schizophrenienbipolare Erkrankungenschwere Depressionen und gewisse Persönlichkeitsstörungen wie die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bei diesen Erkrankungen ist die leichte Zunahme der Fallzahlen hauptsächlich der gesteigerten Lebenserwartung zuzuschreiben.

 

Psychische Erkrankungen sind behandelbar

 

Psychische Erkrankungen sind gut behandelbar und oft auch heilbar. Bei vielen Menschen tritt eine Erkrankung nur einmal im Leben auf. Es stimmt also nicht, dass jemand, der einmal psychisch krank ist, dies für den Rest seines Lebens bleibt. Je nach Krankheit und je nach Schweregrad unterscheidet sich die Behandlung. Häufig wird jedoch eine Kombination von Psychotherapie und Medikamenten angewandt. Auch Angehörigenberatung ist meist hilfreich. Je früher eine psychische Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto grösser ist der Behandlungserfolg. 

 

Macht Arbeit krank? 

 

Eins vorweg: «Einmal krank, immer krank», das gilt bei psychischen Erkrankungen nicht. Sie sind behandelbar. Und zwar umso besser, je früher man damit beginnt. Daher ist es wichtig, frühzeitig fachkundige Unterstützung aufzusuchen. Auch wichtig zu wissen: Wir sind nicht entweder krank oder gesund – die Grenzen sind fliessend. Zwischen absolutem Wohlbefinden und der Krankschreibung gibt es viele Abstufungen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. 75% der Personen mit einer psychischen Erkrankung sind erwerbstätig. 
 

Arbeit ist sehr wichtig für die psychische Gesundheit 

 

Arbeit ist ein Teil unserer Identität. Sie sichert unseren Lebensunterhalt und strukturiert unser Leben. Arbeit bringt uns in Kontakt mit anderen Menschen und deckt so einen Teil unserer sozialen Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Anerkennung ab. Sie bietet uns Aktivität und im besten Fall Entfaltungsmöglichkeiten. Das alles sind Dinge, die für die psychische Gesundheit wichtig sind. Man weiss, dass Arbeit auf die psychische Gesundheit in der Regel einen positiven Einfluss hat. 

In der öffentlichen Diskussion ist teilweise zu hören, dass uns der Arbeitsstress psychisch krank macht. Viel häufiger ist es jedoch die Arbeitslosigkeit, die uns psychisch erkranken lässt. Untersuchungen zeigen zudem, dass selbst bei schweren psychischen Erkrankungen diejenigen Betroffenen schneller gesunden, welche über einen Arbeitsplatz verfügen, an den sie zurückkehren können.
 

Die Arbeitswelt fordert uns immer mehr

 

Dennoch kann Arbeit auch psychisch belasten und im ungünstigsten Fall krank machen. Das moderne Arbeitsleben ist komplex, dicht an Informationen und erfordert häufig schnelle Entscheide. Verlangt werden rasche Resultate, flexible Lösungen und Kundenfreundlichkeit. Das erfordert von uns vor allem Kopf- und Gefühlsarbeit – also psychische Fertigkeiten. Deshalb ist die Psyche in der modernen Arbeitswelt zu unserer Achillesferse geworden. Arbeit kann unsere psychische Gesundheit auf zwei Arten gefährden: Die Anforderungen und Arbeitsbedingungen selbst können so ungünstig sein, dass sie wesentlich dazu beitragen, dass wir psychisch erkranken. Oder aber, wir sind aus anderen Gründen psychisch angeschlagen und merken, dass unsere Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz darum eingeschränkt ist. Das wiederum führt zu zusätzlichen Belastungen, denn Leistungsfähigkeit wird in unserer Gesellschaft grossgeschrieben.

Psychische Erkrankungen in der Familie

 

Wenn Kinder psychische Probleme haben, sind auch die Eltern im Alltag stark gefordert. Häufig zweifeln sie an sich selbst, sind traurig, hilflos oder wütend und fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben. Mütter und Väter, die selber von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, haben vielleicht Schuldgefühle und Angst, den Anforderungen als Eltern nicht gewachsen zu sein. Die Ursachen einer psychischen Erkrankung sind komplex, vieles ist auch heute noch nicht geklärt. Eines ist aber sicher: Viele Faktoren spielen mit, wenn ein Mensch psychisch krank wird. Die Frage der Schuld ist hier nicht hilfreich.

 

Darüber sprechen hilft

 

Manche Eltern möchten ihr Kind schonen und vermeiden es, mit ihm über die psychischen Probleme zu sprechen. Dem Kind ist damit kein Dienst erwiesen. Kinder spüren, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät, sei es bei sich selbst, bei Mutter, Vater oder bei einem Geschwister. Kinder können das nicht alleine verarbeiten. Sie brauchen Erwachsene, die mit ihnen über die Erkrankung sprechen und sie darin unterstützen, einen Umgang damit zu finden.

 

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen

Wenn Kinder über längere Zeit leiden

 

Alle Kinder sind manchmal ängstlich, unkonzentriert, wütend, lustlos oder traurig. Solche Gefühle und Zustände gehören zu einem Kinderleben. Eine psychische Erkrankung muss deswegen aber nicht vorliegen. Manchmal leidet ein Kind jedoch über mehrere Wochen oder gar Monate und ist beeinträchtigt. Dann ist es mehr als nachvollziehbar, dass Eltern sich Sorgen machen und die Situation als belastend empfinden. Häufig leiden auch Geschwister unter der Situation. Das Gespräch mit einer Fachperson kann klären, ob das Kind oder die ganze Familie Unterstützung braucht. Geeignete Fachpersonen sind beispielsweise die Kinderärztin, der schulische Heilpädagoge oder jemand aus dem schul-, kinder- oder jugendpsychologischen oder -psychiatrischen Bereich. 

Wie die Abklärung und die Behandlung bei Kindern aussehen können

In Zusammenarbeit mit Eltern und Kind wird sorgfältig abgeklärt, ob eine Beeinträchtigung vorliegt, die behandelt werden sollte. Die Angebote reichen von schulischen Fördermassnahmen bei Lern- oder Verhaltensproblemen über Logopädie oder Psychomotorik bis hin zu psychotherapeutischen Behandlungsmethoden. Manchmal dauert die Behandlung nur kurze Zeit, in andern Fällen sind Kinder über längere Zeit auf Unterstützung angewiesen. Je nach Problemen wird die ganze Familie miteinbezogen, manchmal nur das einzelne Kind oder eine Gruppe von Kindern mit ähnlichen Schwierigkeiten. Eltern haben das Recht auf Erklärungen, warum welche Therapie sinnvoll ist und was sie sich davon erhoffen können.

Verlieren Sie den Blick für das Positive nicht!

 

Auch wenn Ihr Kind Ihnen Sorgen bereitet und die Situation belastend ist: Niemand spricht gerne jeden Tag über seine Schwächen. Versuchen Sie den Blick so oft wie möglich auf das Positive zu lenken. Unternehmen Sie etwas, was dem Kind Freude macht. Nehmen Sie die vielen Dinge wahr, die Ihr Kind gut und gerne macht. Das gibt Ihnen und Ihrem Kind Kraft und Mut.

 

Häufige psychische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

 

Wichtig: Der Übergang von gesundem und krankem Erleben und Verhalten ist fliessend. Ob eine Auffälligkeit krankheitswert hat, muss eine spezialisierte Fachperson beurteilen! 

Frühkindliche Regulationsstörungen treten im ersten Lebensjahr bei bis zu einem Drittel aller ansonsten gesunden Babys auf. Sie zeigen sich in unstillbarem Schreien, massiven Schlafstörungen, Fütterungsproblemen oder altersuntypischen Trennungsängsten und stellen eine hohe Belastung für die Eltern dar und können den Aufbau der Beziehung zwischen Eltern und Kind gefährden.

Häufige Entwicklungs- und Lernstörungen sind motorische Störungen, Sprach- und Sprechstörungen, Lernstörungen wie Lese-, Rechtschreib-, Rechenschwäche oder eine Kombination davon. Wichtig ist, das Selbstvertrauen betroffener Kinder zu stärken und zu vermeiden, dass sie aufgrund der Misserfolge Ängste, Depressionen oder Aggressionen entwickeln. Die Förderung findet häufig im Rahmen der Schule statt. 


Häufige Verhaltens- und emotionale Störungen sind folgende: 

  • Angsterkrankung wie Trennungsangst, Schulangst, soziale Ängstlichkeit, Phobien, Zwangsstörungen und weitere. Ängste in der Kindheit sind häufig und normal, problematisch werden sie erst dann, wenn sie sehr viel Raum im Leben des Kindes einnehmen und sich das Kind von Gleichaltrigen zurückzieht oder nicht mehr Lernen kann.

  • Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die sich durch Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität (vorschnelles und unüberlegtes Handeln) und Hyperaktivität (Zappeligkeit) äussert, manchmal fehlt die Hyperaktivität, dann spricht man von einer Aufmerksamkeitsstörung (ADS). Diese Diagnose wird bei manchen Kindern auch von Fachpersonen verfrüht gestellt. Eine sehr sorgfältige Abklärung ist hier besonders wichtig! 

  • Aggressiv-dissoziales Problemverhalten zeigt sich in störrischen, trotzigen Verhaltensweisen über aggressives und feindseliges Verhalten gegenüber Menschen und Tieren bis hin zu Zerstörung von Eigentum, Betrug, Diebstahl und schweren Regelverstössen.

  • Manchmal treten Angsterkrankungen, ADHS und aggressiv-dissoziales Problemverhalten isoliert auf, weitaus häufiger aber in Kombination miteinander und/oder in Kombination mit einer Lernstörung. Manchmal kommt auch eine depressive Erkrankunghinzu. 

  • Ein häufiges Problem bei Kindern und Jugendlichen sind Schlafstörungen, die ebenfalls nicht selten mit weiteren emotionalen, Lern- oder Verhaltensauffälligkeiten verbunden sind oder dazu führen können.

 

Mutter oder Vater sein mit einer psychischen Erkrankung

 

Auch wenn alle Eltern im Alltag von Zeit zu Zeit an ihre Grenzen stossen, ist der gesellschaftliche Druck, «perfekte» Eltern zu sein, enorm. Aus Angst, als Mutter oder Vater in Frage gestellt zu werden, suchen viele Eltern keine Hilfe, wenn sie selber psychisch erkranken. Wenn Eltern jedoch therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, wird nicht nur dem erkrankten Elternteil geholfen. Eine Therapie bietet auch die Möglichkeit, über die Situation der Kinder und der Familie zu sprechen. Wie können Eltern trotz Erkrankung ihre Erziehungsaufgabe möglichst gut erfüllen? Welche zusätzlichen Unterstützungsmöglichkeiten für die Familie gibt es? Ist das geklärt, kann auch für die Kinder eine Verbesserung der Situation entstehen. 

 

 

Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt 

 

Kinder haben feine Sensoren und merken in der Regel rasch, dass etwas nicht stimmt. Sie können sich nicht immer erklären, was los ist, und wissen manchmal nicht, dass es auch anders sein könnte. Nicht selten leiden sie stark unter der Situation, auch wenn das nicht in jedem Fall offensichtlich ist. Manche Kinder werden «schwierig», andere versuchen, alles perfekt zu machen, um keine zusätzlichen Probleme zu verursachen. 

 

Was die Kinder psychisch erkrankter Eltern beschäftigt 

 

Kinder beschäftigen Fragen wie: «Warum weint Mama? Warum ist Papa immer zu müde zum Spielen? Warum schläft Mama so viel? Wieso erzählt Papa so komische Sachen? Wie soll ich mich Mama gegenüber verhalten? Darf ich fröhlich sein oder muss ich auch traurig sein? Was mache ich, wenn zu Hause nichts mehr funktioniert? Ist Papa wegen mir krank geworden? Wird es noch schlimmer werden? Was heisst Therapie? Kann meine Mutter oder mein Vater wieder gesund werden? Werden ich oder andere Familienmitglieder auch krank? Darf ich anderen davon erzählen?»

 

Praktische Tipps für psychisch erkrankte Eltern: 


Erklären Sie, was los ist
Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt. Wenn sie nichterfahren, was los ist, geben sie sich die Schuld für die veränderte Stimmung und leiden. Bilderbücher können bei der Thematisierung helfen.

Nehmen Sie Ihr Kind ernst
Hören Sie ihm zu und gehen Sie auf seine Fragen ein.

Bleiben Sie in Beziehung
Fragen Sie regelmässig nach, wie es dem Kind geht, welches seine Sorgen und Ängste sind, was ihm Kraft gibt. Erzählen Sie auch von sich, wo Sie stehen, wie es Ihnen geht. Das stärkt die Beziehung und das Vertrauen zwischen Ihnen und dem Kind.

Halten Sie vertraute Gewohnheiten aufrecht
Rituale wie etwa das abendliche Vorlesen einer Geschichte oder regelmässige Aktivitäten wie der Besuch des Judokurses am Mittwochnachmittag geben Kindern Halt und Sicherheit.

Ermöglichen Sie den Austausch
Ihr Kind braucht Menschen, mit denen es über seine Situation reden kann. Insbesondere ältere Kinder wünschen sich auch Austausch mit anderen Kindern in ähnlichen Situationen.

Informieren Sie das Umfeld
Wenn die Bezugspersonen über die Situation in der Familie informiert sind, können sie angemessener reagieren, falls das Kind sich anders verhält als gewohnt, und es besser unterstützen.

Entlasten Sie sich und Ihr Kind
In Zeiten, in denen Sie nicht mehr genügend Kraft haben, sich um Ihre Kinder zu kümmern, ist ein Helfernetz wichtig. Nicht nur für die Bewältigung des Alltags, sondern auch für die Freizeitgestaltung. Kinder brauchen Raum, um auch wieder einmal ganz unbeschwert Kind sein zu können. Wer könnte in Frage kommen für einen Ausflug, einen Kinobesuch, für das Pflegen eines Hobbys, für den Fahrdienst zum Sporttraining oder fürs Helfen bei den Hausaufgaben?

Vergessen Sie das Wichtigste nicht
Ein Lächeln und eine Umarmung schenken Ihrem Kind Vertrauen und Hoffnung.

Gesprächstipps für Familien


Sie finden hier Tipps, wie man mit Kindern über ihre Erkankung sprechen kann und weiter unten Hinweise, wie man die psychische Erkrankung eines Elternteils thematisieren kann.

 

Mit psychisch belasteten Kindern sprechen

 

Manchmal ziehen sich Kinder und Jugendliche zurück, wenn sie psychisch belastet sind. Die folgenden Tipps können helfen, als Mutter, Vater oder andere nahe Bezugsperson mit einem psychisch belasteten Kind ins Gespräch zu kommen.

Vor dem Gespräch: Mit dieser Haltung gelingt das Gespräch besser

  • Die Beziehung zum Kind ist wichtiger als die schnelle Problemlösung: Versuchen Sie, mit dem Kind in Kontakt zu kommen, Interesse und Verständnis für seine Situation zu zeigen und zu verstehen, wie die Situation aus der Sicht des Kindes aussieht.

Das Gespräch starten

  • Gehen Sie für den Gesprächseinstieg von sich aus (Ich-Botschaften). Sagen Sie beispielsweise „Ich möchte mit dir reden, weil du mir wichtig bist und weil mich die Situation belastet. “ oder „Ich mache mir Sorgen um dich“ und nicht „Du brauchst Hilfe“ oder „Du benimmst dich unmöglich“. Anklage bewirkt Scham, macht zu – Einfühlsamkeit bewirkt Verstanden sein, öffnet neue Wege.

  • Zeigen Sie echtes Interesse, ohne vorher schon eine eigene Erklärung oder Lösung im Kopf zu haben. „Wie erlebst du das? Was würde dir helfen, was ist für dich schwierig?“ Überlegen Sie gemeinsam mit dem Kind, wie Sie beide besser mit bestimmten Situationen umgehen können.

  • Für den Gesprächseinstieg mit kleineren Kindern eignen sich auch Bilderbücher zum Thema „Gefühle“. „Was macht dich wütend, traurig, glücklich?“

 

Wenn sich (noch) kein Gespräch ergibt…

  • Ziehen Sie weitere Bezugspersonen mit ein. Manchmal findet der andere Elternteil oder eine andere nahe Bezugsperson gerade eher den Draht zu dem Kind.

  • Für Jugendlichen ist es häufig einfacher, sich im Freundeskreis zu öffnen. Hat Ihr Kind Freunde, mit denen es sich austauschen kann?

  • Versuchen Sie später wieder, ins Gespräch zu kommen. Nehmen Sie die Gelegenheiten wahr, in welchen das Kind Gesprächsbereitschaft zeigt.

Im Gespräch

  • Bohren Sie nicht, respektieren Sie die Grenzen, wenn ein Kind etwas nicht erzählen will.

  • Je nach Alter des Kindes ist Körperkontakt ein gutes Mittel, um Unterstützung und Zuwendung zum Ausdruck zu bringen. Respektieren Sie aber auch die Grenzen des Kindes, wenn es keine körperliche Nähe haben will.

  • Alle Gefühle sollen Platz haben – auch die der Überforderung, des Zorns, des Nicht-Verstehen-Könnens o.ä.

  • Das Kind bestimmt, wie lange das Gespräch dauert. EIN Gespräch löst selten die ganze Situation auf, es kann aber Türöffner für ein nächstes Gespräch sein.

  • Gemeinsam schweigen und traurig sein kann manchmal auch schon Hilfe sein und Nähe herstellen. Auch das „Da Sein“ ohne Worte ist wertvoll.

  • Vergleiche mit anderen Situationen, Kindern oder Familien helfen meist wenig.

  • Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Kind sei offen dafür, schlagen Sie vor, Kontakt mit einer Fachperson aufzunehmen, damit es allen möglichst bald wieder besser geht.

 

 

Über psychische Erkrankungen sprechen?!

  • Generell gilt: Das Sprechen über die Erkrankung des Kindes (in altersgerechter Form!) ist sinnvoller, als diese zu tabuisieren, das heisst, so zu tun, als gäbe es gar kein Problem.

  • Wenn Ihr Kind bereits in professioneller Behandlung ist, können Sie mit der behandelnden Fachperson besprechen, in welcher Art und mit welchen Worten Sie mit dem Kind über seine konkrete Erkrankung sprechen können. 

  • Je nach Schwierigkeiten und Belastungen braucht ein Kind unterschiedliche Art der Unterstützung. Suchen Sie als Mutter oder Vater möglichst frühzeitig auch das Gespräch mit einer Fachperson, die sich mit psychischen Schwierigkeiten auskennt. Eine Blinddarmentzündung würden Sie als Mutter oder Vater ja auch nicht selber behandeln wollen.

  • Jedes Kind ist einzigartig und erlebt Dinge auf seine eigene Art und Weise. Auch wenn Ihr Kind eine Diagnose hat, über die bereits einiges bekannt ist; zeigen Sie Interesse für das Erleben des Kindes: „Was macht dir Mühe im Zusammenhang mit der Erkrankung?“ „Wovor hast du Angst, was ist unangenehm oder schwierig?“ „Was hilft dir, mit der Erkrankung gut umzugehen?“.

  • Vergessen Sie nicht, dass Ihre Rolle nicht die einer Therapeutin oder eines Therapeuten ist,  die/ der die Erkrankung behandeln muss, sondern dass Sie als Mutter/Vater das Kind liebevoll begleiten und unterstützen, damit es mit professioneller Hilfe gesund werden kann oder lernen kann, mit seinen Schwierigkeiten im Alltag umzugehen.

  • Manchmal eignen sich Eltern „Fachwissen“ aus dem Internet an. Nicht alles, was im Internet als „Fachwissen“ verfügbar ist, ist aber korrekt. Und es ist auch nicht immer einfach, korrektes Fachwissen richtig einzuordnen. Es besteht die Gefahr falsche Diagnosen zu stellen und durch das Einbringen von solchem „Fachwissen“ im Gespräch mit dem Kind eher Distanz zu schaffen anstatt Nähe herzustellen. 

  • Seriöse Ratgeberliteratur für Eltern und Angehörige können im Umgang mit psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen helfen. Manchmal tragen auch Filme über junge Menschen, die ähnliche Probleme haben zu mehr Verständnis bei.

Weitere wichtige Punkte zum Schluss

  • Verlieren Sie die Geschwister des erkrankten Kindes nicht aus den Augen. Was sind ihre Bedürfnisse? Wichtig auch mit ihnen das Gespräch zu suchen und ihnen zu helfen, zu verstehen, was mit dem erkrankten Geschwister los ist.

  • Vernachlässigen Sie Ihre Paarbeziehung nicht, bleiben Sie auch hier im Dialog. Wenn sich im Gespräch alles nur noch um das Kind dreht, kann dies auch für das Kind selber zur Bürde werden.

  • Schauen Sie gut zu sich selber. Mit wem können Sie über Ihre Sorgen sprechen? Informieren Sie sich über mögliche Selbsthilfegruppen oder nehmen Sie fachliche Hilfe für sich selber in Anspruch. Unterstützung in Anspruch zu nehmen ist Zeichen von Stärke, davon profitiert die ganze Familie!

  • Organisieren Sie Entlastung für sich als Eltern, für Geschwister oder für das erkrankte Kind. Entlastungsmöglichkeiten finden sich manchmal im privaten Umfeld durch Grosseltern, Gotten, Göttis, Nachbarn, etc. Weitere Möglichkeiten der Entlastung lassen sich im Gespräch mit einer Fachperson finden. 

  • Konzentrieren Sie sich immer auch auf das, was gut läuft im Alltag mit dem Kind. Ermöglichen Sie schöne Augenblicke und Erlebnisse mit dem Kind und für die ganze Familie.

Mit Kindern über die psychische Erkrankung der Mutter oder des Vaters sprechen

 

Kinder haben feine Sensoren und merken in der Regel rasch, wenn etwas mit Mutter oder Vater nicht stimmt. Sie können sich nicht immer erklären, was los ist, und wissen manchmal nicht, dass es auch anders sein könnte. Nicht selten leiden sie stark unter der Situation, auch wenn das nicht in jedem Fall offensichtlich ist. 

 

Das beschäftigt Kinder häufig

 

Wenn ein Elternteil psychisch erkrankt ist, haben Kinder in der Regel viele Fragen, zum Beispiel Folgende: 

  • Warum weint Mama? 

  • Warum ist Papa immer zu müde zum Spielen? 

  • Warum schläft Mama so viel? 

  • Wieso erzählt Papa so komische Sachen? 

  • Wie soll ich mich Mama gegenüber verhalten? 

  • Darf ich fröhlich sein oder muss ich auch traurig sein? 

  • Was mache ich, wenn zu Hause nichts mehr funktioniert? 

  • Ist Papa wegen mir krank geworden? Wird es noch schlimmer werden? 

  • Was heisst Therapie? 

  • Kann meine Mutter oder mein Vater wieder gesund werden? 

  • Werden ich oder andere Familienmitglieder auch krank? 

  • Darf ich anderen davon erzählen?

 

Sprechen Sie offen über die Situation

Als Einstieg ins Gespräch können Sie zunächst Fragen stellen und herausfinden, was das Kind bereits weiss und welche Fragen es beschäftigen. Es ist wichtig, dass die Fragen eines Kindes ernst genommen und beantwortet werden. Wenn Sie sich als erkrankte Mutter/erkrankter Vater dazu selbst nicht in der Lage fühlen, können Sie den anderen Elternteil, eine weitere Bezugsperson oder eine Fachperson darum bitten, dies zu tun.

 

Wenn ein Kind nicht erfährt, was los ist, gibt es sich selber die Schuld für die veränderte Stimmung und leidet. Ehrliche Antworten auf die Kinderfragen sind nie falsch, es muss nichts verschwiegen werden. Die Antworten müssen für das Kind aber verständlich und an seinen Entwicklungsstand angepasst sein. Sie dürfen dem Kind auch ehrlich sagen, wenn Sie etwas selber nicht wissen. Und Sie dürfen zu Ihrer eigener Verunsicherung im Umgang mit der Erkrankung stehen und Ihre eigenen (auch negativen!) Gefühle wie Angst oder Wut benennen. Wenn Sie unsicher sind, wie Sie die Fragen eines Kindes altersangemessen beantworten können, lassen Sie sich beraten.

 

Mögliche Gesprächseinstiege für das Gespräch mit einem Kind, dessen Vater / Mutter psychisch erkrankt ist

 

  • Mama hat wegen ihrer Krankheit/Depression im Moment  häufig keine Kraft , etwas zu unternehmen. Wie ist das für dich? Ich kann mir vorstelle, dass das nicht immer ganz einfach ist...

  • Deinem Papa geht es im Moment ja nicht besonders gut. Kannst du mit ihm darüber sprechen oder hast du sonst jemanden, mit dem du darüber reden kannst?

  • Für alle Kinder, deren Mama/Papa körperlich oder psychisch erkrankt ist, ist das nicht einfach, sicher auch für dich nicht.  Damit es dir gut geht, ist es wichtig, das du weisst, was dir hilft und dir gut tut und wer dich unterstützt. Hast du das für dich schon etwas herausgefunden? Was ist es? Wie können wir sicherstellen, dass du möglichst oft Dinge erleben kannst, die dir gut tun? Und was tut dir gar nicht gut?

Bilderbücher und Broschüren können helfen

Bilderbücher können bei der Thematisierung mit kleineren Kindern helfen. Für ältere Kinder gibt es Broschüren und Kinder- und Jugendliteratur zum Thema, die ihnen zeigen, dass sie mit der Situation nicht alleine sind und ebenfalls Möglichkeiten für ein Gespräch eröffnen können. Auch für Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen gibt es Broschüren, Ratgeber und Filme zum Thema, die helfen, die Situation von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern psychisch erkrankt sind, besser zu verstehen. 

Austausch mit Personen ausserhalb der Familie zulassen

 

Insbesondere ältere Kinder wünschen sich auch Austausch mit andern Kindern in ähnlichen Situationen. In verschiedenen Regionen der Schweiz gibt es Projekte für die Begleitung für Kinder und Jugendliche mit einem psychisch erkrankten Elternteil. Eine Übersicht über die regionalen Vereinigungen von Angehörigen psychisch Kranker (VASK) finden sich unter: www.vask.ch

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